Kontexterfassung zur planungsorientierten Modellierung medizinischer Telepräsenzanwendungen

Typ: Masterarbeit
Status: beendet
Beginn: Juli 2018
Ende: März 2019
Student: Patrick Prieß
Tutor: Raphael Allner
Supervisor: Prof. Dr. Stefan Fischer

Forschungsgebiet

Der Begriff Telepräsenz beschreibt einen Zustand, bei dem eine Person an einem entfernten Ort präsent ist, ohne an diesem tatsächlich physisch zugegen zu sein. Teil der Telepräsenz ist die Immersion, also das Empfinden der Person in einer virtuellen, oder nicht der Konsensrealität entsprechenden Umgebung anwesend zu sein und diese beeinflussen zu können.

Der amerikanische Forscher Marvin Minsky führte die Entwicklung der Idee von Telepräsenz auf den Science-Fiction- Autor Robert A. Heinlein zurück, welcher in seiner 1942 erschienenen Kurzgeschichte Waldo ein primitives Telepräsenz-Master-Slave-Manipulationssystem vorschlug. Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus Ideen wie diesen ein eigenständiges Forschungsgebiet, welches sich mit telepräsenten Lösungen für Probleme aus unterschiedlichen Domänen befasst. In den letzten Jahren wird das allgemeine Verständnis von Telepräsenz von sogenannten Telepräsenzrobotern geprägt, welche jedoch nur mobile, fernsteuerbare Videokonferenzanlagen darstellen. Derartige und ähnliche Produkte werden bereits in der Industrie und Medizin eingesetzt. Die moderne Telekommunikation und Technologien aus der Robotik, sowie Virtual, Augmented und Mixed Reality ermöglichen Wege sich einer neuartigen Telepräsenzerfahrung anzunähern. Die Technologieentwicklung ermöglicht es seit geraumer Zeit bei Computerspielen einen hohen Grad der Immersion zu erreichen. Auch Telepräsenz in einer geteilten virtuellen Umgebung ist bereits umgesetzt worden. Für andere Anwendungsfelder wird dies adaptiert und läuft unter den Begriffen „Serious Gaming“ oder „Gamification“, also der Verwendung von Mechanismen aus Spielen in anderen Anwendungsbereichen.

In der Medizin bzw. genauer der Telemedizin kann von dieser Entwicklung ebenfalls profitiert
werden. So können Lösungen für akute Probleme entwickelt werden, wie die allgemeine Unterversorgung bestimmter Regionen, oder das Fehlen von Fachexpertise in einer Praxis oder Klinik.

Thema der Arbeit/Aufgabenstellung

Die Entwicklung von Telepräsenzlösungen stellt derzeit noch eine große Herausforderung dar. Bisher werden vorrangig proprietäre Lösungen entwickelt, die jedoch nicht den Pilotstatus verlassen oder nur einen sehr niedrigen Grad der Immersion erreichen. Das Verwenden von bestehenden Technologien sorgt indes für eine ebenso komplexe Aufgabenstellung. Hierbei müssen verschiedenste Produkte, wie Ein- und Ausgabegeräte, Head-Mounted- Displays und Roboter zu einer Anwendung komponiert werden, welche ihrem eigentlichen Verwendungszweck vollkommen widerspricht. Die Entwicklung derartiger Systeme umfasst mehrere Teilbereiche, welche jeweils ihre eigenen Barrieren besitzen, die es zu überwinden gilt.

Einer dieser Teilbereiche ist der Kontext der Telepräsenzanwendung. Er umfasst nicht nur die strukturellen Gegebenheiten innerhalb des Anwendungsfalls, sondern auch eine Repräsentation des Zieles der Anwendung selbst und bildet somit einen wichtigen Teil der Grundlage zur Entwicklung weiterer Teilbereiche. Ein Beispiel hierfür ist die Intentionserkennung basierend auf Benutzereingaben oder auch der Eigenoptimierung des Systems. Kontext, dessen Definition und Modellierung sind im Laufe der letzten Jahrzehnte aktiv erforscht worden, jedoch ohne eine allgemeine Lösung für diese Problematik zu finden. Generelle Ansätze bieten hierbei oft nicht die nötige Komplexität um individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Differenzen bezüglich der Auffassung davon, was Kontext ist und welche Eigenschaften für eine entsprechende Modellierung wichtig sind, führen zu einer Vielzahl domänenspezifischer individueller Einzellösungen. Ein strukturiertes Verfahren, Kontext in einem maschienenlesbaren Format darstellen zu können, ist somit ein wichtiger Teil der Basis zur Entwicklung von medizinischen Telepräsenzlösungen.

Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung einer Softwarelösung, welche es erlaubt, Kontext für den Teilbereich der medizinischen Telepräsenz umfangreich, strukturiert und maschienenlesbar darzustellen. Hiermit geht eine Gegenüberstellung und fundierte Bewertung bestehender Verfahren einher, um darauf basierend ersteinmal eine optimale Lösung zur Kontextmodellierung innerhalb dieser Domäne zu bestimmen. Die entwickelte Software dient hierbei als Hilfsmittel um somit entsprechende Anwendungsfälle, im Rahmen des bestimmten Verfahrens, einfacher, schneller und übersichtlicher modellieren zu können. Des Weiteren ermöglicht diese nicht nur die einzelnen Bestandteile strukturiert zu modellieren, sondern verarbeitet diese auch automatisch in maschienenlesbarer Form.

Für den Entwicklungsprozess ist folgender Ablauf vorgesehen:

  • Anforderungsanalyse an das zu entwickelnde Verfahren, um die relevanten Aspekte des Kontextes für den Bereich der medizinischen Telepräsenz zu identifizieren, sowie diesen klar zu definieren.
  • Gegenüberstellung und Bewertung bestehender Definitionen und Modellierungsverfahren für Kontext, in Bezug auf die bestimmten Anforderungen.
  • Entwickeln des Modellierungsverfahrens, welches erlaubt Kontext im Rahmen der zuvor erstellten Definition zu modellieren. Dies beinhaltet das Bestimmen und Entwickeln von entsprechenden Spezifikationen und Metamodellen.
  • Implementierung einer Softwarelösung zur vereinfachten Handhabung des entwickelten Modellierungsverfahrens.
  • Evaluation der Ergebnisse.

Ergebnisse

Im Rahmen der Arbeit wurden die Bereiche der Telepräsenz und Kontextmodellierung ausführlich betrachtet und grundlegende domänenspezifische Anforderungen extrahiert. Auf Basis dieser Anforderungen und einer durchgeführten Analyse bereits bestehender Kontextmodellierungsverfahren, wurde speziell für die Domäne der medizinischen Telepräsenz das Prozess-Entitäten-Modellierungsverfahren entwickelt und vorgestellt.

Das Prozess-Entitäten-Modellierungsverfahren erlaubt es, medizinische Abläufe, sowie auch Bestandteile der technischen Umsetzung, in Form einer hierarchischen Aufgabenanalyse zu modellieren und relevante Entitäten, wie beispielsweise Nutzern, Lokalitäten, Komponenten, virtuellen Komponenten und Parametergruppen, darzustellen. Weiterhin wurde ein RDF-Vokabular erstellt, welches eine Repräsentation im RDF/XML-Format ermöglicht.

Zudem wurde eine Java Applikation mit dem Namen Telepresence Context Modeller zur unterstützenden Nutzung des Prozess-Entitäten-Modellierungsverfahrens entwickelt. Diese ermöglicht es entsprechende Anwendungsfälle zu modellieren und automatisch in das RDF/XML-Format zu exportieren.

Das entwickelte Kontextmodellierungsverfahren ermöglicht es, die domänenspezifischen Informationen einer medizinischen Telepräsenzenanwendung umfangreich, strukturiert und maschinenlesbar darzustellen und bildet somit eine wichtige Grundlage zur Planung und Entwicklung derartiger Anwendungen.